Gleich sein und anders bleiben

24.08.2018 CJD Nienburg « zur Übersicht

Du bist jetzt seit über drei Jahren in Deutschland? Wie geht es dir?

Also jetzt geht es mir ganz gut. Aber als ich nach Deutschland gekommen bin, hatte ich die ersten paar Tage ein bisschen Angst vor den Leuten, denn ich kannte sie ja nicht. Jetzt komme ich mit den Leuten klar. Jetzt kann ich sie auch verstehen. Ich habe gute Freunde und Freundinnen. Und eine tolle Partnerin!

„Aber ich war von Anfang an kontaktfreudig…“

Wie war die Anfangszeit in Deutschland für dich?

Am Anfang war selbst das einfache Einkaufen schwierig. Ich konnte zwar Englisch, aber die Verkäufer_innen konnten es nicht. Dann wurde ich komisch angeguckt. Aber ich war von Anfang an kontaktfreudig und habe mit der Zeit dann Deutsch gelernt.

„Ich habe gelernt, geduldig zu sein.“

Wie hast du dich selber hier in Deutschland gefunden? Deinen Platz, deine (neue) Identität? Wer oder was hat dir geholfen? Was hat dich gebremst?

Ich habe mir vieles selbst beigebracht. Ich habe gelernt, wie man mit Leuten Kontakt aufnimmt. Ich habe gelernt, geduldig zu sein. Früher war ich ein bisschen aggressiv, aber jetzt nicht mehr. Denn ich habe gelernt, dass ich nicht immer sofort sauer werden muss und dass die Leute es nicht immer schlecht mit mir meinen. Geholfen hat mir auch der JMD im CJD. Dort bin ich bei vielen Projektangeboten mit dabei. Musical, Film und Gesang. Das macht mir viel Spaß mit den Mitarbeiter_innen und allen Beteiligten.

„…und es ist mir dann egal, ob die Menschen an Gott glauben oder nicht.“

Was glaubst du, sind die Erwartungen, die vielleicht von der Gesellschaft an dich gestellt werden? Passt das zu deinen Wünschen, Einstellungen, Zukunftsplänen?

Die Deutschen hatten selbst früher einen Krieg. Und so etwas möchten sie nicht mehr. Sie möchten Frieden. Und deshalb helfen sie uns Geflüchteten. Ich möchte hier friedlich mit allen zusammenleben und es ist mir dann egal, ob die Menschen an Gott glauben oder nicht. Es muss immer Respekt zwischen den Menschen da sein. Die Deutschen erwarten, dass die Geflüchteten hier zeigen, was sie haben. Sie erwarten, dass die Geflüchteten hier ihre Potentiale einbringen. Die Erwartungen an uns sind in Ordnung. Ich kann vieles. Aber ich bin erst drei Jahre in Deutschland. Alles braucht noch ein bisschen Zeit. Ich versuche, dass ich immer besser werde mit der Zeit mit der Sprache und allem. Alles kommt mit der Zeit.

„Es ist sehr wichtig, dass Frauen „Nein!“ sagen können.“

Viele geflüchtete Männer treffen in Deutschland erstmal auf eine oftmals völlig neue Genderkultur. Der Umgang zwischen Frauen und Männern, ihre Gesten und Verhaltensweisen, die Vielfalt der Rollenmodelle und die Rechte und Werte, die im Geschlechterverhältnis in Deutschland gelten, gelebt und eingefordert werden…wie wirkte all das auf dich? Was gefällt dir, was nicht? Was irritierte dich?

Wie Männer und Frauen in Deutschland miteinander umgehen, gefällt mir und gefällt mir gleichzeitig nicht. Also, dass die Frauen in Deutschland viele Freiheiten haben, dass sie arbeiten gehen und Entscheidungen treffen können wie die Männer, finde ich gut. Es ist sehr wichtig, dass Frauen „Nein!“ sagen können. Aber ich finde es gleichzeitig auch schade, dass die Frau auch arbeitet. Die Kinder brauchen immer die Mutter und nicht den Vater. Der Vater ist wichtig, aber die Mutter spielt eine große Rolle für die Kinder. Ich war ein schwieriges Kind. Ich habe Fehler gemacht und ich hatte schlechte Noten. Mit meinen Problemen konnte ich nicht zu meinem Vater gehen, sondern nur zu meiner Mutter.

„Sie sagen, dass die Frauen auch ihr Leben genießen und studieren sollen. Dann gibt es manchmal Probleme zwischen den Männern.“

Mit unserem Projekt „Rollenspielen“ wollen wir jungen geflüchteten Männern ein Forum bieten, ihre Fragen, Sichten und Wünsche zu Geschlechterrollen und ihrer Rolle in Deutschland zu äußern. Glaubst du, dass die Männer Lust haben, darüber zu sprechen? Oder haben sie vielleicht Vorbehalte, mit uns oder in einer Gruppe darüber zu sprechen?

Viele Männer sagen, dass die Frau immer zuhause bleiben muss. Sie soll kochen und sich um die Kinder kümmern und Hausfrau sein. Aber es gibt auch viele Männer, die sagen, dass die Frau nicht nur lebt, um zuhause zu sitzen und nach den Kindern zu gucken. Sie sagen, dass Frauen auch ihr Leben genießen und studieren sollen. Dann gibt es manchmal Probleme zwischen den Männern. Die einen sagen, eine verheiratete Frau soll zuhause sitzen und die anderen sagen, ich möchte eine Frau, die studiert und immer stark ist.

„Das sind noch Kinder, die dann Kinder kriegen.“

Wie zeigen sich Gegensätze, Unterschiede oder Gemeinsamkeiten im Geschlechterverhältnis, wenn man Deutschland mit Syrien vergleicht?

In den großen Städten in Syrien können die Frauen studieren und dann arbeiten. Aber in den kleinen Dörfern werden die Mädchen schon mit 14 oder 15 Jahren verheiratet. Ich hatte einige Freundinnen in der Schule, die schon so früh verheiratet waren. Ich finde das nicht korrekt, weil sie ja noch gar nicht wissen, was Liebe ist und was ihnen die Zukunft bringen kann. Das sind noch Kinder, die dann Kinder kriegen. Die Männer, die sie dann heiraten müssen, sind oft über 35 Jahre alt. Die Eltern entscheiden das für ihre Töchter. Ich finde das nicht gut.

„Ich finde, die Frauen müssen die gleichen Rechte haben wie die Männer.“

Was ist für geflüchtete Frauen anders als für Männer in Deutschland?

Bei uns gab es früher nur Klassen für Jungs und Klassen für Mädchen. Wenn die Mädchen dann hier in die Schule kommen, müssen sie lernen, damit umzugehen, denn gemischte Klassen sind die Regel hier. In Syrien bleibt die Frau fast immer nur zuhause, wenn sie verheiratet ist. Hier in Deutschland ist das anders. Hier muss sie auch arbeiten. Wenn ich verheiratet bin, kann meine Frau auch ruhig studieren und arbeiten. Ich habe Lust, mich auch um die Kinder zu kümmern, aber nicht die ganze Zeit. Ich finde, die Frauen müssen die gleichen Rechte haben wie die Männer. Sie müssen lernen, studieren und arbeiten dürfen.

„Mütter verstehen besser, was die Kinder brauchen.“

Du bist alleine nach Deutschland gekommen. Möchtest du eine Familie gründen? Wie würdet ihr euer Zusammenleben organisieren, also z.B. wer geht arbeiten, wer kümmert sich um die Kinder, wer um den Haushalt?

Frauen sollten sich etwas mehr um die Kinder kümmern als der Mann, weil sie mehr Geduld für die Kinder haben. Ich habe nicht so viel Geduld mit Kindern. Der Vater spielt auch eine große Rolle, aber die wichtigste Rolle spielt immer die Mutter. Die Mutter schützt und versteht die Kinder besser. Mütter verstehen besser, was die Kinder brauchen. Sie haben ein besseres Gefühl für die Kinder. Väter machen nur was mit ihren Kindern, wenn die Kinder fragen, aber sie kommen nicht von selbst darauf, was die Kinder wollen.

Frauen mussten lange und harte Anerkennungskämpfe in der Vergangenheit führen und ihre Gleichstellung in Deutschland ist noch lange nicht erreicht. Unterstützt du das Ziel der Gleichstellung?

Ich finde es gut, wenn Frauen für ihre Rechte kämpfen. Frauen können aber nicht alle Berufe ausüben wie Männer. Manche Berufe können nur Männer machen, wie zum Beispiel Lackierer oder Automechaniker.

Hast du in Deutschland Ausgrenzungs-/Rassismuserfahrungen gemacht?

Man wird oft komisch angeguckt. Das fühlt sich nicht gut an. Und man kann nichts dagegen sagen, wenn jemand zu dir sagt: „Das ist meine Heimat!“, denn er hat recht.

„Wir Menschen sind alle gleich, aber jeder glaubt und lernt anders.“

Was muss für die Geflüchteten getan werden? Wie können wir alle in Zukunft solidarisch zusammenleben? Hast du eine Utopie für ein gelingendes Miteinander?

Die Geflüchteten gehen zur Schule und lernen die Sprache. Aber viele haben keine Ahnung, wie man Kontakte findet. Ich habe einen Freund, der Sprachniveau B1 hat. Er kann gut lesen und schreiben, aber er hat keine Ahnung, wie man Kontakt zu Deutschen aufnehmen kann. Er kann nicht gut reden. Gespräche sind für ihn sehr schwierig. Die Deutschen können die arabische Kultur kennenlernen und wir können mit den Deutschen besser und schneller Deutsch lernen. Wir müssen geduldig miteinander sein. Wir Menschen sind alle gleich, aber jeder glaubt und lernt anders. Wir müssen fair zueinander sein und zusammen lernen.